Frank Schubert - Photographie im Zeitalter der Beschleunigung | photography in the age of acceleration
a rainbow single
Walter Benjamin beschrieb den Flaneur noch als Außenseiter, als durch Langsamkeit Retardierten, der sich „Asyl sucht in der Menge“. Passanten rückt auch Frank Schubert in den Fokus, doch der Flaneur unserer Zeit erlebt Authentizität nur in der Menge. Dort findet er Schutz, verschwindet und erfährt sich selbst. Überwachungskameras und manisch knipsende Gestalten bestimmen das Szenario. Die als anonym und hektisch begriffene Masse verdichtet sich bei Schubert zu individuellen Dramen. Mit schonungsloser Direktheit und versteckter Kamera, doch ohne Erwartung einer Sensation, destilliert er prägnante Portraits aus der Menge: der Künstler als Voyeur. Das Periphäre ihrer Erscheinung provoziert die wie magisch verzögernden Blicke des Künstlers. Schubert konzentriert sich auf Haltung und Outfit, oft lässt allein die Silhouette ihre psychische Verfasstheit ahnen. Eine schwebende, zugleich gespannte Aufmerksamkeit bestimmt die Bilder. Sie erklärt sich aus der Strenge der Komposition: Schubert stellt die Figuren frei und koloriert den Bildraum monochrom, für jede die passende Farbe. Isoliert aus Raum und Zeit entstehen Werke von kontemplativer Kraft. Während soziale Wirklichkeiten auseinander driften, sucht Frank Schubert in seinem als umfassendes Gesellschaftsportrait angelegten Fotoprojekt nach einem offenen Raum. Folgerichtig bleibt in seinen Arbeiten das auratisch aufgeladene Individuum – wie in der Werbeästhetik - unbenannt, ohne Geschichte, ohne Namen. Schubert zeigt sich als Zeitzeuge, als sensibler Beobachter menschlicher Regungen im öffentlichen Raum – ob Fußgängerzone, Bahnhof, Rennbahn oder Lungomare. Es liegt in der Logik seines (konzeptuellen) Werks, dass klassische Topoi wie Faltenwurf (Stoff wie Haut), Linienführung und Haltung der Portraitierten die Aufmerksamkeit bündeln. Die Bilder wirken auf den ersten Blick unterkühlt, distanziert. Man glaubt fast, die Aufnahmen seien beiläufig entstanden. Schuberts Bildsprache ist sachlich und präzise, aber hochgradig emotional. Die Halbakte der Strandkultur, die in nichts anderem als dem Moment zu leben scheinen - ihre scheinbar schnappschussartig eingefangene Gegenwärtigkeit gleicht fast schmerzend einem Memento Mori. Behutsam entfernt sich der Künstler von sozialen Zusammenhängen, aus denen er seine Inspirationen bezieht. Er erforscht mit seinen Bildern ungeschaute Momente, erfasst zögernde Selbstreflexion, schwankendes Bewusstsein und die schwindenden Kräfte alternder Menschen. Abseits vom Mainstream erfasst er die von emotionalen Regungen geprägte Alltagskultur und schafft Ikonen der Identität. Darin besteht seine Meisterschaft. Die Arbeiten sind Element eines großangelegten Portraitzyklus, einer Strukturanalyse, die als work in progress (mit Projektion im öffentlichen Raum) realisiert werden soll. Der Künstler plant ein systematisches Gesellschaftsportrait, das nicht nur die Reflexion des Individuellen und Typischen, sondern auch aktuelle Interferenzen von Mensch und Gemeinschaft in den Fokus rückt. Schuberts Werk ist ein politisches Statement zur Erhaltung der Straßenfotografie und muss in der Tradition von Henri Cartier-Bresson und Saul Leiter gesehen werden.
Ricarda Geib
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